Erwachsen werden mit dem Avatar

Ein Avatar ist ein Stellvertreter. In der digitalen Welt der Online-Browserspiele übernimmt er die Rolle des Spielers. Er wird mit Eigenschaften und Werkzeugen oder Waffen ausgestattet, die ihm erlauben die Anforderungen der künstlichen Welten zu bewältigen, Abenteuer zu bestehen oder Aufgaben zu lösen. Hinter dem Avatar steht ein Spieler, der sich seiner bedient. Dieses Prinzip gilt heute für kostenlose Browsergames. Der Avatar in einem komplexen Rollenspiel kann für den Nutzer durchaus eine tiefere Bedeutung gewinnen. Gerade Mehrfachmassenrollenspiele fordern die Spieler auf, sich mit dem Spielpartner und dem eigenen Avatar auseinanderzusetzen und diesen zu verändern und zu modifizieren.

So kann der Avatar allmählich zum Begleiter werden und zwischen Spieler und Avatar baut sich eine Beziehung auf. Manche Spieler haben in Foren berichtet, dass der Avatar zu einer zweiten Identität wurde. Natürlich wissen sie, dass er eine Kunstfigur ist. Aber wenn sich ein Spiel über Monate und Jahre hinzieht, baut der Spieler eine Gefühlsbeziehung auf. Wenn dann aus Altersgründen der Avatar aufgegeben wird oder veränderte Lebensumstände eine Trennung unvermeidlich machen, dann hinterlässt der Verlust des Avatars oft eine Lücke. Es kann sogar sein, dass der Spieler den Verlust betrauert, als handele es sich um einen echten Menschen.

Das ist nicht so schlimm, wie es sich anhört. Denn wenn die seelischen Prozesse auch in vielem dem Umgang mit Menschen gleichen, so ist die Ablösung von einem Avatar gleichsam ein Stück der persönlichen Entwicklung. Die Abwendung von einem Avatar und die Zuwendung zu realen Aufgaben wie Abschlussprüfungen lassen den Spieler reifen. Das Realitätsprinzip siegt über die Fantasie und der Spieler lernt seine eigene Stellvertreterfunktion kennen, indem er eine soziale Rolle übernimmt. Genau dieses Rollenverhalten hat er bisher seinem Avatar übertragen. Wenn er sich löst, wendet er sich den Regeln der wirklichen Welt zu und lernt mit seinen Werkzeugen und Fähigkeiten die Welt zu meistern. Dann ist er erwachsen.

 

Andreas

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